Klappe zu und Wachstum tot?

Veröffentlicht auf von SchliLoup

Steht unser Gesellschaftsmodell des (Wirtschafts-)Wachstums vor dem Aus? Müssen wir umdenken und brauchen somit neue Wohlstandsindikatoren?

 

Eine Enquete-Kommission - eingesetzt von verschiedenen Bundestagsfraktionen - ist auf der Suche nach neuen Wachstumsmessern, Frankreichs Präsident hat Alternativen zum BIP von prominenten Fachleuten und Volkswirten suchen lassen und es mehren sich die Stimmen, die einen Ersatz für das Bruttoinlandsprodukt fordern. Kritik am BIP und am Wachstumsmodell ist in, spätestens seit Ausbruch der Finanzkrise.

 

Der Club of Rome thematisierte dies bereits im Jahr 1972 und sagte für den Zeitraum von 100 Jahren das Ende des Wachstums voraus. Knapp 40 Jahre später hat sich an unserem Wachstumsmodell allerdings nicht viel geändert, die Stimmen, die eine radikale Neuorientierung fordern, mehren sich allerdings. Nie war dieses Thema präsenter als heute.

Die in der Diskussion auftauchenden Forderungen lassen sich grob in 2 verschiedene Ansätze unterteilen:

 

1. Abschied vom Wachstumsmodell --> Begrenzung des Wachstums

2. Neue Wohlstandsindikatoren --> Realistischere "Wachstumsmessung" + Umdenken und Verhaltensänderung (?!)

 

Der erste Punkt ist hier sicher der radikalere. Wenn öffentlich gefordert wird, das zügellose Wachstum zu kontrollieren und einzuschränken, kann die erste Frage darauf eigentlich nur sein, wie dies zu regeln sein soll. Woraus entsteht denn eigentlich Wachstum? Es entsteht durch das Streben von Individuen nach Fortschritt und Weiterentwicklung sowie aus Gewinnstreben, Kostenminimierung und Effizienzbemühungen der Unternehmen. Wer Wirtschaftswachstum lediglich als abstrakte makroökonomische Größe sieht, dem fehlt der Blick für das Wesentliche und die Realität. Unser Wirtschaftswachstum wird getrieben von abertausenden von Individuen. Solange man dies nicht vergisst, kann man sich die Umsetzung dieses Vorschlags schwerlich vorstellen. Wie will man glaubhaft Individuen davon abhalten, nach Fortschritt zu streben? Und wer würde dies wollen? Dieser Ansatz würde jegliche Bemühungen um Verbesserungen beerdigen. Ein solches System schränkt die Freiheit der Menschen ein und kann nicht dauerhaft existieren, es wird von seinen eigenen Kindern verschlungen werden.

Eine Beschränkung des Wachstums ist also schwer umsetzbar und auch nicht wünschenswert. Was für unsere Zukunft allerdings essentiell sein wird, ist, das Streben der Individuen und Unternehmen in die angemessene Richtung zu lenken. Dieser Lenkungsprozess ist allerdings nicht planwirtschaftlich zu verstehen, sondern liegt vielmehr in dem Schaffen von geeigneten Rahmenbedingungen. Und an diesem Punkt setzt der 2. Ansatz an. Das BIP darf überdacht werden. Zu Beginn muss festgestellt werden, dass das BIP überhaupt nicht unseren Wohlstand misst, sondern vielmehr die Leistungsfähigkeit einer Volkswirtschaft. In dem Sinne ist es also kein Wohlstandsindikator, wird aber oft als Synonym dafür benutzt und verstanden. Dieser Unterschied sollte uns bewusst sein. Als Wohlstandsindikator wäre ein Pro-Kopf-Einkommen in einer Währung, bereinigt um Kaufkraft-Unterschiede, besser geeignet. Gehen wir vom BIP aus, können wir allerdings einige Modifizierungen durchführen, die für unser Vorhaben gar nicht so schlecht sind.

Jedes Unternehmen muss bei der Bilanzierung Abschreibungen vornehmen, also bei seiner Erfolgsausweisung die Wertminderung ihres Vermögens abziehen. Alles andere würde die Leistungsfähigkeit eines Unternehmens überzeichnen. Doch warum wird  das BIP nur um Abschreibungen u.a. auf Anlagen und Gebäude bereinigt? Warum wird es nicht auch um Abschreibungen auf die Natur, Reparaturleistungen und Unfallkosten bereinigt? Entziehe ich der Natur Öl und verkaufe es, so erzeuge ich kein wirkliches Wachstum, ich schichte vielmehr mein Vermögen um, erzeuge aber keinen eigentlichen Mehrwert an sich. Um solche Effekte bereinigt, würde das BIP unserer Volkswirtschaften und der Erde um ein Vielfaches sinken. Diese Modifizierung und Sichtweise sollte schon erste Anreize dafür verkleinern, die Ressourcen zu schnell abzubauen. Es erzeugt einen realistischeren Blick auf unser Wachstum und sollte erste Impulse dafür geben, das heutige BIP als Götzenbild zu verabschieden. Hinsichtlich der Alternativensuche zum BIP befürworte ich demnach  ganz nach Karl Popper einen Weg der kleinen Schritte. Dadurch können wir testen, welcher Schritt uns jeweils näher zum Ziel bringt, und falls dies nicht der Fall sein sollte, ist er eben rückgängig zu machen.

In der Öffentlichkeit wird dagegen oft der große Wurf gefordert und diskutiert. Es ist die Forderung der gänzlichen Aufgabe unseres alten Systems, mit ganz neuen Vergleichsmaßstäben für unseren Wohlstand bzw. unserer Leistungsfähigkeit. Auf die Schnelle fällt zumindest mir keiner ein und durchgesetzt hat sich bis jetzt auf jeden Fall noch keiner. Es wird gewünscht, Werte wie persönliches Glücksempfinden zu berücksichtigen, also nicht nur harte Fakten, sondern auch ganz softe Faktoren. Vor einem solchen Ansatz sollten wir uns momentan allerdings hüten, eine Standardisierung von Zufriedenheitsmaßstäben kann sehr diktatorisch sein. Dies dadurch, dass festgelegt wird, was Glück für jeden einzelnen bedeutet. Die Skalierung und das Empfinden sind jedoch Mensch zu Mensch und erst recht von Volk zu Volk unterschiedlich. Bevor wir alle Völker über einen Kamm scheren und ihnen ähnliche Ziele und Werte unterstellen, sollten wir uns an ein modifiziertes BIP halten, schließlich misst es durch die Preise auch die Zahlungsbereitschaften der Wirtschaftssubjekte in einer Gesellschaft und ist somit unabhängig von Präferenzunterschieden zwischen Völkern ein Maß für den geschaffenen Nutzen.

 

Zusätzlich dazu sollten wir uns mehr mit dem Ursprung von Wachstum beschäftigen. Wird Wachstum künstlich erzeugt, durch statistische Kunstgriffe erhöht oder ist er eben nicht nachhaltig? Diese Frage können wir anhand eines interessanten Experiments momentan in der Weltöffentlichkeit verfolgen. Nachdem durch die Finanzkrise das Leben auf Pump eine abrupte Abrechnung erhalten hat, standen die europäischen Länder und die Vereinigten Staaten von Amerika vor der Entscheidung, welchen Weg man zukünftig einschlagen möchte.

Europa wählte dabei, abgesehen von Tendenzen zur Problemaufschiebung, den Weg zur (Neu-)Verschuldungsminderung bzw. des Verschuldungsgrad, während die USA die Krise u.a. durch Gelddrucken zu bekämpfen versucht. Hier wird die Krise also mit Mitteln bekämpft, die sie ursprünglich auslösten. Den Erfolg beider Modelle in Zukunft zu vergleichen, wird eine hochinteressante Angelegenheit sein. Auch aus Gründen einer "fairen" Vergleichbarkeit sollten wir die Märkte nicht zu stark an die Zügel nehmen. Die Märkte haben nämlich eine Korrekturfunktion und decken (gefährliche) Fehlentwicklungen auf. Dass sich die eigenen Probleme und Fehler nicht tot bezahlen, befehlen, regulieren oder schweigen lassen, werden dabei die EU, ganz besonders aber auch die USA mit zusätzlichen enormen Schulden auf kommunaler und bundesstaatlicher Ebene lernen müssen.

Es wird kein guter Ratschlag sein, sich in die Tasche zu lügen, wie es die EU versucht hat und auch immer mal wieder versucht. Probleme lassen sich nicht einfach so verschweigen und gehen nach einer Zeit automatisch weg, sie lassen sich nur nach hinten schieben. Dies macht sie allerdings nicht kleiner, sondern vielmehr größer. Wer von uns kennt die Situation nicht, dass Problemlösungen durch Aufschub immer schwierige und unangenehmer wurden?

 

Das Modell des künstlich erzeugten Wachstums auf Pump sollte überholt sein. Es hat nicht neue Aussichten geschaffen, sondern unsere Handlungsfähigkeit jetzt und für die Zukunft eingeschränkt.

 

Abschließend sollten wir also zuerst damit anfangen, Wirtschaftswachstum kritischer zu hinterfragen bzw. genauer zu betrachten. Dadurch sollten wir beurteilen können, inwiefern bestimmte Handlungen echtes Wachstum erzeugen oder eben nur scheinbaren Wachstum. Mit der Zeit werden wir unser Verhalten in diese Richtung anpassen und dann können wir die nächsten Schritte bedenken und auch gehen. 

 

 

Da ich momentan aufgrund der Klausurenphase nicht groß zum Schreiben komme, ein kleiner Verweis auf ein Interview der Wirtschaftswoche mit Professor Raghuram Rajan u.a. zu der Geldpolitik der FED, in dem einiges an Wahrheit steck:  link

Veröffentlicht in Gesellschaftliche Themen

Um über die neuesten Artikel informiert zu werden, abonnieren:
Kommentiere diesen Post