Modernes Demokratieverständnis

Natürlich können wir Politik und Wirtschaft getrennt sehen und getrennt lehren. Doch die letzten Jahre haben uns ein neues Maß an Komplexität aufgezeigt, dass unsere Verständniskraft und unseren Gestaltungswillen herausfordert. Unser System basiert offensichtlich auf mehr als nur den Kräften Exekutive, Legislative und Judikative, das 21. Jahrhundert sollte es deutlich gemacht haben. 

Doch was sind Aufgaben unseres System? 

Unter allgemein akzeptierten Rahmenbedingungen soll dem Einzelnen die Freiheit gegeben werden, die er braucht, um seine Talente entfalten zu können und sich diesen entsprechend einbringen zu können. Dabei sollte das System insofern dem Individuum Sicherheit bieten, dass es nicht zum Spielball äußerer Entwicklungen wird, die seine Freiheit einzuschränken drohen. Die Abwägung zwischen Sicherheit und Freiheit für System und Individuum wird eine der zentralen Herausforderungen unserer Zeit sein und Ziel sollte es sein, schrittweise einen Punkt zu finden, bei dem sich diese einpendeln kann. Ausschläge in eine Richtung werden vermutlich durch Ausschläge in die andere Richtung gekontert, die Dialektik kann sich im Lauf der Zeit entfalten.

Welche Entwicklungen betreffen diese Abwägung? 

Schlagzeilen über die Diktatur der Märkte und der Finanzwelt haben sich gehäuft, doch ein etwas differenzierteres Bild enthüllt interessante Einsichten:

Als im Jahr 2007 die Märkte zusammenbrechen, blieb den Staaten nicht viel übrig, als Rettungsaktionen im nie gesehenen Ausmaß vorzunehmen. Und diese Rettungsaktionen belasten heute die Staatsfinanzen, was wiederum die Märkte auf den Plan ruft. Bis hier klingt die Story ganz nach Diktatur der Märkte und der Machtlosigkeit der Staaten. Doch die Geschichte ist komplexer. Einen Ursprung hat die Krise in der Politik. Anfang der 90er entschied sich die amerikanische Regierung - damals unter Bush Senior - zur politischen Förderung des erschwinglichen Hauskaufes. Unternehmen unter Staatseinfluss wie FreddieMac und FannieMae wurden Ziele vorgegeben, eine bestimmte Prozentzahl an Hypothekenkredite an Haushalte in unteren Einkommensbereichen zu vergeben. Dazu kamen laxe Regulierung, zu lockere Geldpolitik und allgemein das Gefühl, dass in diesem Aufschwung alles anders war! Die Blindheit für vorherrschende Risiken war weitverbreitet und so konnte sich die Blase ein gutes Jahrzehnt entfalten! Der Aufprall war dementsprechend überraschend und hart. 

Was müssen wir daraus lernen? Zentralbanken, Regulierungsbehörden und die Politik dürfen nicht länger ihre Verantwortung verweigern, konsequente Rahmenbedingungen zu gestalten. Es muss klar und transparent sein, dass a) bei von Kreditwachstum befeuerten Blasenentwicklungen Gegenmaßnahmen getroffen werden und b) die Politik Boomzeiten dazu nutzt, Defizite runterzufahren und Schuldenstände abzubauen. Dies dient der Selbstbeschränkung und der Tendenz, in Extrema zu verfallen.

Momentan befinden wir uns auf einem Boot, auf dem der Kapitän die Führung verweigert und sein Kompass nicht transparent ist. Dadurch entstehen Extremsituationen, in denen entweder alle immer volle Kraft nach vorne rudern oder plötzlich alle nach Rettungswesten suchen und ihr eigenes Heil suchen. Wir müssen uns aber auf einen gemeinsamen Kurs einigen und dem Kapitän bestimmte Aufgaben überlassen, die zur besseren Koordination und Navigation notwendig sind. 

Spannenderweise hat sich die Risikowahrnehmung der Märkte radikal verändert und die sonst immer als kurzsichtig beschimpften Märkte könnten unsere Staaten zur Nachhaltigkeit in der Budgetplanung zwingen. Mit angemessenen Zinsreaktionen könnten die Märkte eine wichtige Funktion sicherstellen, die in der Demokratie bisher schwergefallen ist, auszuüben: Die Gegenwart nicht auf Kosten der Zukunft zu finanzieren! 

Ein Agendapunkt ist also, klare Rahmenbedingungen zu setzen, in denen sich die Freiheit der Marktteilnehmer zum Vorteil aller entfalten kann, gegenseitige Erpressungen nicht mehr möglich sind und sich keine Unsicherheit über das Fortbestehen des Systems einschleicht und jegliche Aktivität ersticken kann.